Neulich bei Ikea, Dezember 2007 - Erlebtes
Ich war heute bei Ikea. Für mein neues Bett eine passende Matratze kaufen.
Viele Kleinfamilien dort, wie immer. Ebenso viele Pärchen schieben sich durch die Gänge, brav den Pfeilen folgend, ihre Zweisamkeit bezeugend, begutachen sie alles Angebotene gemeinsam. Flüchtig durchstreift mich der Gedanke ob es wohl auch für mich schöner wäre, so etwas zu zweit auszuwählen? Würde sich das gut anfühlen? Jemanden an meiner Seite, liebevoll Farbe oder Form des Wunschobjektes diskutierend, händchenhaltend der Vision eines gemeinsam gestalteten Zuhauses nachhängend? Die rosarote Vorstellung von verdoppelter Freude durch Teilung dieser, macht mich nachdenklich und ich frage mich, ob mein Single-Dasein wirklich so toll ist. Wie auch immer!
Ich habe drei Matratzen in der engeren Wahl. Ich folge dem Rat der Mitarbeiterin und nehme mir die Zeit auf jeder Einzelnen 10-15 Minuten Probe zu liegen. Dadurch hatte ich auch unbeabsichtigt viel Gelegenheit, die Menschen hier zu beobachten!
Ein Pärchen, etwa im Alter von 35-40 Jahren, betritt die Abteilung. Er geht direkt zum Infostand. Sie steuert zu den Taschenfederkernmatratzen und beginnt, mit kritischem Blick, ihre steif gespreizten Finger in eine Matratze zu drücken.
Er: “Schatz, wie war noch der Name der Matratze die wir im Katalog ausgesucht haben?“...
Schahatz?.... er dreht sich um, merkt, dass er ins Leere spricht, kneift die Augenbrauen zusammen...“wo bist Du denn?“
Sie: „Guck mal, die hier, auch Taschenfederkern, die ist aber weiß, das sieht viel besser aus als dieses komische grau, und die ist auch viel dicker, guck doch mal.“
Er: „Was guckst Du denn noch, wir wissen doch was wir wollen. Ausserdem ist da doch sowieso ein Laken drüber, ist doch egal ob weiß oder grau. Nun komm schon“, er ist einige Schritte auf sie zugegangen, bleibt dann stehen, hebt die Arme und lässt sie demonstrativ an die Oberschenkel fallen.
Sie: „ Jahaa, aber nun komm doch mal. Sowas kann man sich nicht nur im Katalog ansehen. Die muss man ausprobieren!“ sie hält den Kopf schräg, blinzelt ihn an, lächelt „ Och Schatzi, Du willst doch auch dass wir das richtige holen.“
Er: seufzt, nähert sich ihr, drückt mit den Fingern auf die Matratze „Und wo ist die, die wir uns eigentlich ausgesucht haben?“ (um sich blickend)
Sie: kurzer Rundumblick, findet das Gesuchte einige Schritte weiter, zeigt drauf „Da.“
Ich: habe inzwischen das zweite Testobjekt unter mir....super, so kann ich viel besser sehen!
Er: drückt seine Faust unsanft und federnd in die Matratze, sitzt Probe, grinst „Perfekt, die ist prima, die nehmen wir.“ er hält ihr die ausgestreckte Hand hin, den Körper schon in Richtung Infostand gedreht.
Sie: die Arme vor der Brust verschränkt „Als wenn man das in zwei Sekunden herausfinden kann“.
Er: Du hast in der gleichen Zeit entschieden unseren Plan über den Haufen zu werfen! Bist also auch nicht besser!“
Verkäuferin: „Und? Wie ist es so?“
Ich: leicht irritiert „Bitte? Ach so, ja also diese ist schon mal prima, die erste war nix. Ich werde gleich mal die dritte testen.“ Die befindet sich genau zwischen ihm und ihr!
Sie: beäugt mich schräg, geht zu ihm, schmiegt sich in seinen Arm „Och Schatz, sei nicht böse. Lass uns bitte, bitte die beiden Matratzen in Ruhe anschauen ja?“
Er: seufzt, lächelnd milde, nachgiebig,, nimmt ihr Gesicht in die Hände, küsst sie „ Okay, lass uns das machen.“
Beide: gehen zur Katalog-Matratze, setzen sich, legen sich abwechselnd drauf, studieren die Info-Tafel, kommentieren im Flüsterton ihre Aktionen.
Ich: liege direkt daneben, kann aber kaum etwas verstehen. Meine Matratze Nummer drei ist klasse!
Beide: wechseln zum Objekt mit dem weißen Bezug. Gleiche Test-Prozedur wie bei der „grauen“, wieder Flüstern. Dann normale Lautstärke.
Er: “Nein, die andere ist genauso wie wir uns das gedacht haben. Ich finde die gut. Nur wegen des weißen Bezuges willst Du diese haben. Das ist doch Unsinn, die ist beinahe doppelt so teuer. Ich hab keine Lust mehr. Und auch den Teppich kannst Du Dir alleine angucken.“ dreht sich weg, geht einige Schritte, stockt, lässt das Kinn auf die Brust sinken, seufzt, kehrt um „Na gut, wenn Du unbedingt diese hier haben willst....in Ordnung.“
Sie:schweigt einen Moment, grübelt, geht ihm entgegen, drückt sich an ihn „Ach nein, Du hast ja recht. Wir nehmen die andere, so wie wir es geplant haben. Ist doch egal ob weiß oder grau.“
Ich: liege mittlerweile mehr als 40 Minuten auf diversen Matratzen. Sehr entspannt! Gehe zum Infostand, sage was ich möchte und bedanke mich für die nette Beratung und für die gute Unterhaltung. Die Verkäuferin grinst schweigend.
Beide: stehen hinter mir, besprechen den Transport und das weitere Vorgehen
Er: „Hast Du den Zettel mit den Teppichmaßen?“
Sie: „Wieso ich, den hattest Du doch zuletzt!“
Er: „Na toll, dann brauchen wir gar nicht erst in die Teppichabteilung zu gehen.“
Sie: „Wieso denn nicht, wir können doch wenigstens mal gucken.“
Ich: wollte eigentlich direkt zur Kasse....hab mich dann entschieden,
doch noch nach einem Läufer zu gucken.....!
Einige Stunden später liege ich, in Form eines großen X, in meinem neuen Bett, auf meiner neuen Matratze, in meiner neuen, rosenduftweichgespülten Bettwäsche und ich fühle mich großartig.
Habe ich die angenehmen Seiten des Single-shoppen wirklich in Frage gestellt? Glaubte ich tatsächlich Ikea-Bummeln sei in trauter Zweisamkeit möglich und das diese Harmonie gleich mit in die Einkaufstüte wandert und zu Hause noch nachwirkt? So ein Quatsch! Es ist keine traurige Seite des Single-Daseins, es ist ein Privileg!
Zufrieden und entspannt werde ich zukünftig durch Ikea schlendern......und mich weiter auf Pärchen-Shopper freuen!
Schatten
Der Mann saß auf der, vom rauen Seewetter zermürbten Holzbank.
Er bewegte sich nicht.
Die Hände lagen einander haltend auf seinen Knien.
Sie hatten nichts zu tun.
Doch man sah ihnen an das sie in ihrer Vergangenheit nicht oft so nutzlos ruhten. Die graue, spröde Haut wies an den Gelenken tiefe dunkle Furchen auf, die wohl keine Seife der Welt mehr auf ihre ursprüngliche Hautfarbe waschen könnte. Feste dunkle Fingernägel wölbten sich glanzlos um die derben, mit der Zeit unempfindlich gewordenen Fingerkuppen.
Der Mann saß still.
Seine kurzen Haare, die zwar schon grau aber noch füllig den Kopf bedeckten, zauselten im unbeständigen Wind .
Die Holzbank hatte keine Rückenlehne und so saß der Mann mit seinem krummen Rücken leicht nach vorn gebeugt, seine Unterarme auf den Beinen liegend, stützten die Last des Körpers.
Der Mann blickte auf das Meer und rührte sich nicht.
Sein derbes, grobes Gesicht spiegelte lange Jahre harter Arbeit wieder. Arbeit in sengender Sonne, durchdringendem Regen und eisigem Wind. Die buschigen Augenbrauen überdachten weit die tiefliegenden, von Staub und Wind getrübten Augen.
Der Mann saß auf der Bank und blickte stumm auf das Meer.
Nichts weiter.
Das kleine Holzhaus lag nur eines kleines Stück von der Bank entfernt. Ein Haus ,das sich zu ersparen, man fast ein ganzes Leben lang braucht. Ein Leben voll Verzicht und harter Arbeit für sich und seine Frau und für ein kleines Holzhaus am Meer.
Kleine Häkelgardinen schmückten die Fenster vor denen sich in hübschen Kästen kleine Blumen mit dem Wind wiegten. Die Tür, verziert mit einem hübschen Kranz aus geflochtenen Kornähren, stand offen.
Der Mann saß still auf der Bank und blickte auf das Meer.
In dem kleinen Holzhaus lag die Frau auf dem sauberen Fußboden.
Sie bewegte sich nicht.
Tränen tropften dem Mann vom Kinn auf seine Hände.
Sie trockneten einfach.
Herbst 97 A.K.
Gezeiten
Der Strand war menschenleer und obwohl sie das Gefühl hatte nicht allein zu sein, konnte sie doch niemanden erspähen.
Auf der Suche nach einem vermeintlichen Beobachter, drehte sich ihr Kopf unwillkürlich in Richtung Meer. Konnte sich dort jemand aufhalten? Vielleicht auf einem der kleinen Segler oder Motorboote die an verschiedenfarbigen Bojen befestigt waren und mit den Wellen im sanften Gleichklang schaukelten? Nein, das war wohl unwahrscheinlich, denn keines der Boote war groß genug um einen Übernachter zu beherbergen, außerdem war es schon spät, beinahe Mitternacht.
Das Licht des Mondes spiegelte sich als kleine Strasse auf der Wasseroberfläche. Kleine blanke Steinchen im Sand glitzerten wie Diamanten. Die Sterne, die sich unter der schwarzen Himmelsdecke bis ins Unendliche erstreckten, schienen so nah als könnte man sie mit einem Fingerschnippen von ihrem Platz schubsen.
Obwohl es kalt war und sie einen wärmenden Pullover trug, erhitzte sie die Anstrengung des barfüßigen Laufens im Sand. Sie schob die Pulloverärmel über die Ellenbogen und krempelte dort einen Umschlag damit sie nicht wieder herunterrutschten.
Bei jedem Schritt versackten ihre Füße fast bis zu den Knöcheln im weichen Sand. Sie beobachtete wie die Millionen kleiner Körnchen über ihren Füßen zusammenfloss und beim Anheben wieder herunterrieselten. Ein schönes Gefühl.
Sie schreckte auf. War da nicht ein Flüstern ? Ein zartes Stimmchen das ihren Namen rief ? Sie blickte um sich, wieder verharrte ihr Blick auf dem Wasser.
Nach einem winzigen Augenblick der Unsicherheit die ihr durch den Körper kroch, schimpfte sie sich selbst eine Närrin und ging weiter.
Es waren wohl bloß die Geräusche des Meeres die sich mit dem leicht dumpfen heulen des anschwellenden Windes vermischten.
Mit leichtem Unbehagen setzte sie ihren Weg fort, doch ihr Gang verlor seinen schlendernden Rhythmus.
Irgendetwas war anders heute.
Oft schon nutzte sie die abendlich Stille am Strand um ihre Gedanken zu klären, das Alleinsein zu genießen, die Einsamkeit zu verdrängen.
Doch heute fand sie nicht die Ruhe und Gelassenheit nach der sie sich so sehnte.
An einer Ansammlung von großen Steinen, ließ sie sich nieder und lehnte sich an einen Felsen. Sie starrte auf das Meer und war erschrocken über die tiefe Schwärze des Wassers, die kriechenden Bewegungen der Wellen und über die ungewöhnlichen Geräusche aus der Dunkelheit.
Stimmen ?
„Sei still“ hörte sie sich plötzlich leise flüstern.
Erschrocken über ihre eigene Stimme zuckte sie zusammen und bemerkte erst jetzt die Kühle. Sie krempelte die Pulloverärmel herunter, legte sich die Hände auf die Oberarme und versuchte sie reibend zu wärmen.
Doch es war nicht die Kälte die sie erschaudern ließ, es war mehr so etwas wie Furcht. Grausen schmiegte sich wie ein Mantel um ihren Körper.
Es war das Meer, feindselig und gleichzeitig anziehend, fordernd.
Da war die Stimme wieder, ganz klar vernahm sie ihren Namen.
Zögerlich bewegte sie sich nach vorn, mit jedem Schritt verlor sie ein Stück ihrer Angst.
Dennoch tasteten ihre Augen wirr die Wasseroberfläche ab.
Vergeblich, sie fand keine Erklärung.
„Ich weiß was Du willst“ rief sie in die Dunkelheit ,
„Du willst mich, mich willst Du haben, Du...“
Verlor sie den Verstand? Sie brauchte doch einfach nur zu gehen. Sie schaffte es nicht sich abzuwenden, konnte sich dem was passierte nicht entziehen und wollte es auch gar nicht.
„Ja, ich bin verrückt“ flüsterte sie sich selbst zu und sie spürte wie der Wahnsinn ihr den Nacken entlang bis ins tiefste Innerste kroch, sich dort ausbreitete und jegliche Vernunft beiseite drängte.
„Du willst mich haben ? Dann nimm mich“.
Mit schlaff herunterhängenden Armen und in die Weite gerichtetem Blick schritt sie langsam ins Meer.
Als das Wasser ihre Knie umspielte verharrte sie. Sie nahm kaum die eisige Kälte wahr, spürte aber die stille Dunkelheit wie sie sich wabernd und schwer um ihre Beine schlang und langsam empor kroch.
Den Oberkörper aufgerichtet, die Arme seitlich abgespreizt, den Kopf in den Nacken gelegt, schloss sie die Augen um sich der endgültigen Finsternis völlig hinzugeben.
Sie konnte nichts mehr hören, nur noch ihr Herz, welches sanft und rhythmisch leiser wurde.
Das Dunkle umschloss immer mehr ihren Körper, umschmiegte die Hüften, den Bauch - wie zäher Schleim hüllte sie ihren Körper ein.
Nun wusste sie wie sich grau anfühlt.
Und dann wusste sie wie sich schwarz anfühlt
Sie lächelte zart.
Ganz dumpf, wie in Watte verpackt, spürte sie die Grenzen ihrer Einsamkeit, spürte ihre Gefühle verenden und spürte dann gar nichts mehr.
In finsteren, zähen Tropfen hing die Dunkelheit an ihren Händen, nur ein kleiner Teil des Gesichts war noch unbedeckt, sie war beinahe Eins mit dem Schwarz.
Absolute Stille.
„Du Dummheit“
Eine weiche, klare Stimme fuhr ihr in den Kopf.
Ihr starres Lächeln entwich, das entspannte Gesicht verhärtete sich.
Es war, als wischte jemand in ihrem Kopf herum.
„ Du Dummheit, wie konntest Du glauben dich einfach der Dunkelheit hingeben zu können“
Stille.
Unruhe.
Sie wusste, es war das Leben das zu ihr sprach, genauso wie sie wusste das vorher der Tod ihren Namen rief.
„Warum kann ich dich hören“? hauchte sie.
„Weil du mich hören willst“ sprach das Leben, „so wie du den Tod hören wolltest“
Die Stimme war nun sanfter.
Sie richtete ihren Oberkörper auf , ließ die Arme sinken, nahm den Kopf nach vorn,
hielt die Augen geschlossen.
„Na los, öffne die Augen und komm mit mir“ forderte die Stimme sie auf.
„Aber der Tod wollte mich doch haben, ich war dabei zu sterben“ erwiderte sie.
„Nein“ sagte das Leben, „Du wolltest den Tod und er war da dich zu nehmen: Doch nun sprichst du mit mir. Also los, öffne deine Augen“.
In ihrem Kopf schien es heller zu werden, leichter.
Ihr Herz pulsierte ängstlich schneller.
Sie hob die Arme und legte die Hände auf ihr Gesicht, langsam fuhr sie mit den Fingern über die Augen, die Wangen entlang und verharrte seitlich vor den Ohren, so als wollte sie ihren Kopf halten.
Dann öffnete sie die Augen.
Wohlige Wärme durchflutete sie, Das Licht des Tages war im Ansatz zu erkennen, gelb-silbrige Streifen durchzogen die blau-grauen Wolken die ungestüm umherwirbelten als würden sie sich nicht entscheiden können nur in eine Richtung zu ziehen.
Die Wolken leben dachte sie.
Ihre Hände tasteten Arme und Oberkörper ab, vorsichtig sah sie an sich hinunter und erwartete schwarz, klebrig und nass zu sein. Doch sie stand im warmen Sand und war völlig trocken. Einen Schritt vor ihr spülte das Wasser mit sanften Bewegungen Algen und Muscheln an den Strand.
Das Meer war ganz klar, soweit sie sehen konnte war der Blick durch das Wasser ungetrübt. Ihr Herz pulsierte im Einklang der weichen Wellen.
Sie kniete sich in den Sand und vergrub ihre Finger darin, jedes einzelne Sandkorn rieselte sanft von ihrer Haut. Ihre Haare flatterten fedrig im Rhythmus milder Windböen.
Sie erhob sich, lief einige Schritte, immer noch erstaunt sich bewegen zu können.
Sie ließ sich fallen rollte sich auf den Rücken um dann mit ausgestreckten Armen und Beinen liegen zu bleiben und die Wärme der Sonne in sich aufzusaugen - jeder einzelne Sonnenstrahl fühlte sich an wie ... wie Liebe.
„He Leben“ rief sie laut und war erstaunt über ihre kräftige klare Stimme.
Stille.
„Und du Tod, kannst du mich hören ?“
Stille.
Sie stand auf und ging.
Mit jedem Schritt verblasste die Erinnerung an die Dunkelheit aber sie wusste, es war die Zeit zu leben.
Anja K. 1995